Vitiligo, der glitzernde Feenstaub – Die Autobiographie der Balletttänzerin Michaela dePrince

Buchbesprechung von Dr. Nina Ehrlich, Germanistin und Dozentin sowie ehemaliges Mitglied des Vorstandes der SPVG. Erschienen in der Hautsache 2/2016.

 

Unzählige kleine Mädchen haben einen gemeinsamen Traum: Eine berühmte Tänzerin zu werden und im rosaroten Tutu über die grossen Bühnen dieser Welt zu schweben. Nur sehr wenige erreichen dieses Ziel; die Konkurrenz ist gross, die Anforderungen sind hart, die Auswahl gnadenlos. Um bestehen zu können, braucht man einen eisernen Willen, ein unterstützendes Umfeld und nicht zuletzt einen perfekten Körper. Träumt ein kleines Mädchen in einem Waisenhaus im bügerkriegsgebeutelten Sierra Leone diesen Traum, ein verlassenes, krankes Mädchen mit schwarzer Haut, die mit weissen Flecken übersäht ist, scheint dieser Traum aussichtslos. Und doch hat das Mädchen es geschafft. Im Buch Ich kam mit dem Wüstenwind  erzählt die Tänzerin Michaela dePrince, die als Mabinty Bangura 1995 in Sierra Leone zur Welt kam, wie es ihr gelang, ihren Traum vom Tanzen allen Widrigkeiten zum Trotz zu verwirklichen. Nicht nur ihre schwarze Haut, die sie in der Welt des Balletts zur Aussenseiterin macht, sondern auch die Vitiligo, an der sie seit frühester Kindheit leidet, stellten immer wieder grosse Hindernisse auf ihrem Weg dar.

 

«Leopardenbaby» ist noch die harmlosere Bezeichnung, die ihre Eltern bei Mabintys Geburt zu hören bekommen. Einen schlechten Brautpreis würde sie bringen, sie sei ein nutzloses Geschöpf, so die Ansicht im Dorf. Solange ihre Eltern noch leben, ist Mabinty jedoch vor schlimmen Anfeindungen geschützt, auch wenn sie darunter leidet, dass die Kinder im Dorf aus Angst vor ihren Flecken nicht mit ihr spielen wollen. Als der Vater jedoch von Rebellen getötet wird und Mabinty und ihre Mutter beim verhassten Onkel leben müssen, wird sie zum «gefleckten Teufelskind», das angeblich Unheil über die Familie bringe. Die Situation verschlimmert sich dramatisch für Mabinty, als  ihre Mutter sich zu Tode hungert, um der Tochter das Überleben zu sichern. Ihr Onkel bringt sie in ein Waisenhaus, wo sie aufgrund ihrer gefleckten Haut in der Hierarchie ganz unten steht. Sie bekommt am wenigsten zu essen und wird sowohl von den meisten anderen Kindern wie auch den Betreuerinnen drangsaliert und gedemütigt. Doch sie ist stark und kann sich behaupten. Als sie eines Tages in einer Zeitschrift ein Foto einer Ballerina sieht, fasst sie einen Entschluss, den sie nie mehr aufgeben wird: Einmal wird auch sie eine Ballerina sein.

 

Bis es soweit ist, sind noch sehr viele Hürden zu nehmen: Die Flucht mit den Betreuern und anderen Kindern des Waisenhauses vor den mordenden Rebellen in ein Flüchtlingscamp in Guinea, dann die Reise nach Ghana, wo amerikanische Adoptiveltern sie erwarten. Die Adoption markiert den Wendepunkt in Mabintys Leben, die von nun an Michaela heisst. Sie hat das Glück, zu offenen, warmherzigen und liebevollen Adoptiveltern zu kommen, denen ihre Wünsche und Träume am Herzen liegen. Die Eltern ermöglichen ihr eine Ballettausbildung, und Michaela nutzt diese Chance und arbeitet hart an sich. Doch ihre Hautfarbe ist auch hier eine Belastung für sie. Nicht nur den alltäglichen Rassismus in den USA muss sie am eigenen Leib erfahren, auch die weissen Vitiligo-Flecken stellen immer wieder eine Herausforderung für sie dar. Denn wer möchte wohl jemals eine schwarz-weiss gefleckte Ballerina auf der Bühne sehen?

 

In einer zentralen Stelle in ihrem Buch beschreibt Michaela, wie sie schliesslich zu der Überzeugung kommt, dass sie es trotz ihrer Vitiligo schaffen kann, ihren Traum vom Tanzen zu verwirklichen. Ihre Mutter begleitet sie zu einer Schüler- Tanzaufführung, bei der sie eine Hauptrolle tanzt. Michaela bittet die Mutter, auf ihre Flecken zu achten. Nach der Vorstellung möchte sie von ihr wissen, ob die Flecken von weitem zu sehen seien. Ihre Mutter antwortet ihr:

 

«Nein... nein, überhaupt nicht», wisperte Mama verschwörerisch. «Es war unglaublich. Von Weitem sieht es wie glitzernder Zauberstaub aus, der über dich verstreut ist.» Ich seufzte erleichtert und sagte: «Jetzt weiss ich, dass ich Tänzerin werden kann.» Erst viele Jahre später erfuhr ich, dass Mama mich an diesem Abend belogen hat, aber es war eine Lüge, die mir Mut machte und die ich damals brauchte. Ich musste daran glauben können, dass meine verhassten Flecken wie glitzernder Feenstaub aussahen und meinen Träumen nicht im Weg standen.

 

Michaela geht ihren Weg konsequent weiter, absolviert eine klassische Ballettausbildung und ist heute Mitglied des Niederländischen Nationalballetts. Mit ihrer Autobiographie, die sie gemeinsam mit ihrer Mutter geschrieben hat, möchte Michaela dePrince – so erklärt sie selbst – anderen Mut machen, sich nicht von rassistischen Ressentiments unterkriegen zu lassen, sondern seine Träume zu verfolgen. Es ist ein Buch, das sich zwar an Jugendliche wendet, in einer einfachen, direkten und leicht verständlichen Sprache, aber seine Botschaft richtet sich nicht nur an Jugendliche. Besonders für Menschen mit Vitiligo kann diese erstaunliche Geschichte ein inspirierendes Beispiel dafür sein, dass es nicht die Flecken sein sollten, die unser Leben bestimmen. Die Flecken sind kein Makel, der uns hemmen muss, das zu tun, wovon wir träumen. Wäre es nicht viel schöner, wenn auch wir die Flecken als glitzernden Feenstaub auf unserer Haut erkennen könnten?

Michaela und Elaine dePrince: Ich kam mit dem Wüstenwind. Wie mein Traum vom Tanzen wahr wurde. München: cbt Verlag 2014. ISBN: 978-3-570-16324-5. (Originalausgabe: Taking Flight. From War-Torn Orphan to Star Ballerina)